Guten Morgen, liebe Welt,

40 Wochen… wow. So lange wie eine Schwangerschaft normalerweise dauert. In einem Buch (Ich glaube, es heißt „We are the luckiest“, aber ich gebe hier nur ene Anmerkung aus der FB-Gruppe weiter; das Buch habe ich nicht gelesen) beschreibt die Autorin, dass sie ihre Nüchternheit behütet und beschützt wie ihr Baby. Wie etwas sehr Kostbares also.
Am Wochenende war mein eigenes Kind zu Besuch. Wir sehen uns nur selten, durch Corona noch länger nicht – fast sieben Monate. Sie hatte sich Bier mitgebracht, weil sie sich gedacht hatte, dass ich nichts im Haus haben würde. Weil sie weiß, dass ich seit langem keinen Alkohol trinke. Dann kam tatsächlich die Nachfrage nach dem „Wie lange jezt schon nicht mehr?“ und „Warum eigentlich?“ Das war der Moment, in dem ich mit dem einen (einzig wahren) Satz – „Ich habe ein Alkoholproblem.“ – die Wahrheit auf den Punkt bringen hätte bringen können. Laut aussprechen.  – Aber ich habe mich nicht getraut, weil ich mich – immer noch – so furchtbar dafür schäme. Es ist etwas anderes, sich Wildfremden zu öffnen, anonym hier zu schreiben oder unter dem Klarnamen bei Instagram als eine unter vielen darüber zu berichten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bekannter das dort liest, ist a) gering und b) dann soll es so sein.
Aber ich merke, dass ich mich gern den mir nahen Menschen öffnen möchten. Raus mit der Wahrheit und weg mit der Scham. Sich selbst gegenüber gnadenlos ehrlich zu sein ist auch ein Teil des Prozesses und der Heilung.
Es war wohl aber noch nicht der richtige Moment, das meiner Tochter gegenüber so zu sagen. Zumal ich denke, sie ahnt es längst. Hat sie mich doch so oft betrunken erlebt. Aber ich habe nur ein „Glaub mir, das ist besser so“ genuschelt und geschäftig im Kühlschrank gekramt.
Scham war mehrmals unser Thema am Wochenende. Sie ist auch nicht frei davon, denn unsere Familie ist eine Suchtfamilie und weiß um Nikotin-, Alkohol- und Drogensucht und Essstörungen aus eigenen Erfahrungen bestens Bescheid.

Warum will ich mich outen? Warum mache ich bei einer öffentlichen Aktion wie der von Nathalie mit? Ein wichtiger Grund ist, dass genau diese Stigmatisierung des Themas Alkoholsucht, die mich gerade noch schambehaftet zurück lässt, aufhören soll. Niemand, der süchtig nach irgendetwas ist, begibt sich freiwillig in diese Spirale der Verzweiflung und Selbstzerstörung. Aber die Gesellschaft spiegelt das so: Süchtige seien nur undiszipliniert und willensschwach. Alkis, Junkies, Spielsüchtige, Fett- und Magersüchtige, Bulimiker*innen – schon die meisten Titulierungen sind Vorurteil genug. Selbst Menschen mit Depressionen werden abgewertet. Raucher*innen haben da echt Glück – das zählt eher als Laster… Und je länger sich Betroffene verstecken und klein machen, vor allem die, die versuchen, diesen Süchten zu entkommen und dafür so viel Kraft und Stärke aufwenden, so lange bleibt es ein Stigma. Aber je mehr Menschen, die eben nicht dem gängigen Klischee entsprechen, sondern sind wie „du und ich“, sich bekennen, gleichfalls in irgendeiner Form abhängig (gewesen) zu sein, um so stärker wird deren Lobby. Ich denke oft an die Frauen, die sich 1971 im „Stern“ öffentlich zu einer Abtreibung bekannt haben. Das war so mutig. Das Ganze hat heftige Debatten ausgelöst, unglaublich polarisiert, aber so das Thema öffentlich gemacht.

Und ich hatte einen wirren Tagtraum: Ich habe geträumt, bei meiner Mutter zu Besuch zu sein und während irgendeiner Beschäftigung ganz nebenbei ein Glas Rotwein zu leeren. Nach altem Muster: schnell auszutrinken. Es war so real und selbst meine erschrockene Erkenntnis „Verdammt, ich habe getrunken und alle die nüchterne Zeit mit einem unbedachten Konsum zu nichte gemacht.“ war in diesem Traum eingebunden. Meine Trauer und mein Erschrecken, das Ganze nicht rückgängig machen zu können und wie es dazu überhaupt kommen konnte. Mühsam und geplagt bin ich erwacht und erst in kleinen Schritten wurde mir klar, dass ich nur geträumt hatte und nichts davon wahr war. Was ein seltsames Gefühl: von der Verzweiflung in die Erleichterung zu dämmern.
Ich habe von solchen Träumen gelesen, das passiert selbst langjährig Abstinenten oft. Für mich war das mein erstes Mal und bis dahin hätte ich nie geglaubt, dass ich das mal erleben würde.
Vielleicht lag es auch daran, dass eben an dem Tag Alkohol so ein Thema war und ich zudem vom Bier meiner Tochter ziemlich getriggert war. Ich wollte auch in der Abendsonne auf dem Balkon sitzen und an einem prickelnden Getränk nippen. Vor zwei Jahren haben wir in einer gemeinsam schwierigen Zeit eben viele solcher Momente mit Weincocktails trinkend auf dem Balkon verbracht. Vielleicht habe ich mich nur erinnert.

Aber es ist alles gut gegangen. Kein Bier, kein Sekt, kein Wein…

Alles Liebe für heute
Eliza