Guten Morgen, ihr Lieben da draußen,
die Tage zwischen den Jahren, wenn der Weihnachtsstress vorbei ist und es nichts mehr vorzubereiten, einzuwickeln, zu organisieren gibt, liebe ich am Meisten. Denn endlich komme ich zur Ruhe und tue vier Tage lang fast nur Dinge, die mir Spaß machen. Ich lese. Schreibe. Schaue Serien oder nur aus dem Fenster in die Weite, gehe spazieren, schlafe aus oder träume vor mich hin. Sitze stundenlang in meiner gemütlich warmen Küche mit zwei, drei Tassen Kaffee und genieße die freie Zeit. Die to-do-Pflichtlisten passen auf ein Post-it.
Silvester bin ich verabredet und meine vogelfreien Tage haben dann ein Ende, doch bis dahin habe ich Unmengen Zeit, nach vorn zu träumen und zurück zu schauen.
Auch wenn ich Silvester als gesellschaftliches Event – wir bleiben wach bis Mitternacht, umarmen einander nach dem letzten Glockenschlag sekttaumelig mit den besten Wünschen für ein nun aber endlich mal gutes neues Jahr und schießen frierend Raketen in den Himmel – nicht mag, löst der anstehende Jahreswechsel in mir aber dennoch ein ambivalentes Gefühl zwischen Wehmut und Hoffnung aus.
Zu meinem Ritual in diesen Tagen gehört, den Papierkalender für das kommende Jahr vorzubereiten: Ich übertrage die Geburts- und Todestage meiner Familie und Freunde aus dem alten in den neuen. In den vergangenen Monaten sind neue Namen dazu gekommen von Menschen, die mir wichtig geworden sind. Ihren Geburtstag zu notieren, um ihn keinesfalls zu vergessen, ist ein gutes Zeichen: Dieser Mensch nimmt nun einen Platz in meinem Leben ein. Andere Namen fallen weg, weil ich schon langfristig den Kontakt oder einfach die Nähe zu ihnen verloren habe. Beim Übertragen erinnere ich mich nun noch einmal an jeden Einzelnen. Hoffnung und Wehmut. Willkommen und Abschied.
Ich blättere im Kalender 2020 und bin erstaunt, wie schnell dieses Jahr dann doch vergangen ist. Und auf mein privates Leben merkwürdig unscheinbar wirkt trotz der gravierenden Einschnitte für uns alle. Das Seuchenjahr. Manchmal erinnere ich mich – an einen Ausflug, ein Treffen, ein Ereignis – und bin mir so sicher, es sei erst neulich gewesen. Dann stelle ich erstaunt fest, dass mich meine Erinnerung trügt und nichts davon in diesem Jahr stattgefunden hat. Seltsam.
Revue passieren lassen: Was bleibt für mich denn tatsächlich aus 2020?
Als Erstes: Diese bisher 364 Tage waren komplett alkoholfrei. Das ist das Beste am Jahr. Am 1. Januar werde ich ein Jahr und drei Monate abstinent sein. Wow. Auch wenn bis dahin noch ein paar lange 24 Stunden vor mir liegen, bin ich mir recht sicher, das trocken zu bewältigen. Alkohol ist im Alltag zwar täglich präsent in meinem Leben, aber nicht in meinem Verlangen danach. So soll es bitte bleiben.
Anfang des Jahres war körperlich fit wie nie zuvor und fühlte mich in mir wohler denn je; im Sport konnte ich Stress abbauen und Grenzen ausloten. Gerade ich als legendärer Plumpssack… Bis ich krank wurde und das alles verändert hat. Kein Sport mehr, und im sozialen Leben von Hundert auf Null innerhalb weniger Tage. Die Unsicherheit der Pandemie und dazu vier Wochen zu Hause krank geschrieben: Ich saß inmitten einer riesigen Angst, was denn plötzlich mit mir los sei, was mir die Luft zum Atmen nahm und bekam von Ärzten keine Antworten. Panikattaken, Depressionen, Verzweiflung. Um Hilfe für mich zu bitten, immer wieder darauf zu drängen, weiter und weiter und weiter untersucht zu werden, ist nicht meins. Dafür muss ich noch sehr viel üben: hartnäckig sein und bleiben, wenn es um meine Bedürfnisse geht. Darüber zu reden. Nein zu sagen.
Was noch? Ich habe Anfang Januar mein Ehrenamt abgegeben, das mich so sehr beansprucht und Energie gekostet hat. So viel Last ist von mir abgefallen. Ich habe erfahren dürfen, dass das Leben trotzdem weiter geht, wenn ich mich nicht zu 150 Prozent irgendwo engagiere. Auch im Job. Mein stetiger Ehrgeiz, mich beweisen, mein Gehalt rechtfertigen, anderer Leute Erwartungen erfüllen zu müssen, zu WOLLEN, ist ein großes Stück weit zerbröckelt. Mir fehlten am Ende des Jahres einfach die Kraft und die Hoffnung, mich übermäßig anzustrengen. Und siehe da: Mein Mantra „Ich gebe mir Mühe und das muss reichen.“ hat genauso gut funktioniert. Da spielen immer wieder alte Muster eine riesige Rolle: über sichtbare Erfolge wahrgenommen und gelobt zu werden. Der Vaterkomplex. Ich hoffe, ich kann dabei bleiben, dieses Denken nach und nach abzubauen und endlich einfach nur in mir selbst zu ruhen.
Ohne Alkohol zu leben, hat lange vergrabene Charaktereigenschaften wieder ans Licht geholt. Ich konnte früher immer gut zuhören und Geheimnisse bewahren. In den Rauschjahren war das schier unmöglich, weiß ich jetzt. Ich konnte mir einfach nichts mehr merken und vergaß schlichtweg die Sorgen meiner Mitmenschen. Mein vernebeltes Hirn hat mich nur noch auf mich schauen und mich bemitleiden lassen.
Jetzt merke ich, dass sich in diesem trockenen Jahr viel verändert hat und Freunde und Kollegen mir wieder mehr und mehr private Dinge erzählen. Manchmal einfach nur, um mal darüber zu reden. Ich höre zu und fühle mit ihnen. Ich kann es wieder. Das macht mich sehr froh.
Gelassenheit, andere nicht nach meinen Vorstellungen ändern zu wollen, die Kraft (und Sturheit), Dinge nicht hinzunehmen, die ich für mich ändern kann und die Altersweisheit, mich zurücknehmen zu können, wenn es keinen Sinn macht, meine Energie zu vergeuden – danach möchte ich leben so gut ich kann.
Nicht mehr wie früher sporteln zu können, in Erschöpfung und Depressionen zu versinken, waren keine Optionen für mich. Da reagiere ich trotzig und will es nicht hinnehmen. Eine Tageslichtlampe hilft mir jetzt durch die dunklen Morgenstunden, ich trainiere nun regelmäßig und in geduldigen Schritten auf dem Laufband daheim meine Kondition, und habe mich wegen der Müdigkeit ärztlich beraten lassen. Hormonersatztherapie ist für mich gerade eine Offenbarung. Wenn die Lösung so simple wäre…
Früher habe ich jedes Jahr an Silvester einen Brief an mich selbst geschrieben mit all den Vorsätzen für das kommende Jahr. Zwölf Monate später die Enttäuschung: Viele Vorhaben waren im Nirvana verpufft (Ganz einfach, weil ich sie vegessen hatte.) und ich fühlte mich unfähig und undiszipliniert.
In diesem Frühsommer habe ich mir in einer Bucket-List (= Löffel-Liste) all die Dinge notiert, die ich gern im Leben noch tun würde. Zumindestens in meinen Wünschen. Realistisch oder nicht, aber nun schwarz auf weiß und unverschlossen. Daraus nehme ich mir ein paar Punkte mit ins neue Jahr. Ganz oben steht: nicht trinken. Und: eine gute Freundin sein. Der LittleMammut-Marsch als sportliche Herausforderung gerade wegen meiner nun eingeschränkten Lungenfunktion, ein Schweigeseminar besuchen und endlich ein Kunstprojekt aus dem Kopf zu Papier bringen.
Und vielleicht erfülle ich mir nebenbei – so quasi im Vorbeigehen – noch ein paar der anderen kleineren Wünsche? ;o)
Ich weiß, to-do-Listen erzeugen Druck. Schon aus Gewohnheit schreibe ich IMMER zu viel drauf. Aber ohne Ziele kann ich einfach nicht. Da kann ich (noch) nicht aus meiner Haut. Schauen wir mal, was das Jahr uns allen bringt. Ich hoffe, überwiegend Gutes.
Ich wünsche euch allen gute Tage noch in diesem Jahr, einen fulminanten oder verschlafenen Jahreswechsel ganz nach Belieben und ein hoffnungsvolles, frohes und gesundes neues Jahr!
In Liebe
Eliza
Liebe Xeniana,
was für ein wunderschöner Name und herzlich willkommen hier. Ich freu mich sehr, dass du dazu gekommen bist. Nimm Platz und fühl dich wohl hier bei mir.
Sei lieb gegrüßt
Eliza
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Liebe Eliza, ich habe über Grinsekatz hierhergefunden und freue mich sehr im neuen Jahr hier mitlesen zu können. Bin ganz angetan. Die Idee mit dem Kalender habe ich auf meine To do Liste geschrieben.
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Lieber Reiner,
dankeschön.
Komm gut und trocken ins neue Jahr.
Liebe Grüße
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Ich freue mich für dich.
Gute 24 Stunden & lieben Gruß,
Reiner, Alkoholiker, heute trocken.
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Guten Morgen, ich weiß, was du meinst. Sollte, müsste… das lähmt mich auch eher. Ich versuch’s mit „ich möchte“.
Bei mir hat sich das Übertragen über drei Tage hingezogen. Wäre theoretisch in einer halben Stunde erledigt gewesen. Aber ich war immer wieder abgelenkt. Wollte einmal lieber im Buch weiterlesen, einen Film schauen oder laufen gehen. Null Druck also. Purer Luxus mir selbst gegenüber.
Sei lieb gegrüßt und gib dir die Zeit die du brauchst. Eliza
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Das mit dem Datenübertragen in Papierkalender sollte ich auch machen. Aber ich wollte endlich aufhören mit den Solltemüsstes…
Gruß von Sonja
P.S.: mit den besten Wünschen unbekannterweise…
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