Guten Morgen ihr da draußen,
die Dämonen schleichen sich leise an: Gestern hatte ich das erste Mal seit meiner alkoholfreien Zeit Suchtdruck. (Ich könnte auch galant ‚Verlangen‘ schreiben, aber das ändert nichts an der harten Tatsache.)
Auf einer Skala von eins bis zehn würde ich die Stärke bei vier einordnen. Es war nicht einfach zu ignorieren: Ich wollte Alkohol trinken und spürte förmlich den ersten herben Schluck auf meiner Zunge, aber doch nicht so intensiv und dauerhaft, dass ich innerlich verkrampfte und nach Erlösung suchte. Das gibt es nämlich auch. Dann packt mich die Unruhe und ich kann an NICHTS anderes mehr denken als an „Ich brauche JETZT was zu trinken!“, weil alles in mir angespannt ist und schmerzt.
Womöglich lag es am Tag. Unglaublich stressig mit einigen Terminen, schnell was essen zwischendurch am PC, voll unter Dampf. Da will der Körper wohl etwas zum Runterkommen und als ich am späten Nachmittag endich daheim war, bin ich regelrecht auf meinem Stuhl zusammengesunken vor Erschöpfung. Um mich herum die vollen Einkaufstüten, die ausgeräumt werden mussten, und vor mir eine to-do-Liste für den Rest des Tages: Wäsche, Haushalt, kochen und noch was arbeiten.
Während der Autofahrten zwischen den Terminen und den Supermärkten sah ich mich klar und deutlich in meiner Küche sitzen mit einem randvollen Glas eiskalten feinherben Riesling vor mir und zum ersten Schluck ansetzen… Das war unglaublich real und so verlockend. Einfach loslassen, treiben lassen… ausnahmsweise… nur heute… ABER NEIN! Das ist genau der Trugschluss: es gibt keine Ausnahmen und Nur-Heute-Alternativen. Ganz oder gar nicht. Ganz aufhören und gesund werden oder weiter trinken und untergehen.
Dass der Suchtdruck gut zu bändigen war, merkte ich auch an meinem Einkaufsverhalten. Ich kam im Supermarkt noch nicht mal auf die Idee, mir wider aller Vorhaben eine Flasche Wein in den Wagen zu legen. Es gab keinen Abstecher bzw. „Lauf“ zwischen den Weinregalen, keinen Halt davor und minutenlanges Anstarren der Flaschen, keinen wehmütigen Gedanken. Obwohl… doch.
Ein Discounter hatte alkoholfreie Cocktails im Angebot. Margarita und Tequilla Sunrise. ‚Vielleicht‘, dachte ich, ‚ ist das eine gute Alternative für den Suchtdruck-Notfall. Wenn mich der Dämon packt.‘ Ich habe beide Packungen (Hihihi, ja. Der Klassiker: Billigfusel aus dem Tetrapack.) mitgenommen, aber vorher geschaut, was da drin ist. Verschiedene Säfte und Konzentrate und natürlich auch Chemie. Klar. Aber im Notfall wird es mir egal sein, denke ich. In meinem Kühlschrank liegt auch noch ein angebrochenes Six-Pack alkoholfreies Radler aus dem Sommer.
Im Bezug auf alkoholfreie Alkohol-Getränke als Alternative oder gar Mittel zum Zweck bin ich noch sehr unsicher und ambivalenter Meinung. Bis vor Kurzem war ich fest davon überzeugt, dass a) eh überall ein Fitzelchen Restalkohol drin ist, auch wenn 0,00 Prozent drauf steht, und b) allein der Geschmack nach Alkohol Appetit auf echten Stoff macht. Erst mit dem Buch von Clare („Chianti zum Frühstück…“) habe ich gelesen, dass sie ihren Absprung mit jeder Menge alkoholfreien Bieres schaffen konnte. Das lässt mich über Rettungsinseln bei extremeren Suchtdruck (ab Stärke 6?) nachdenken.
(Aber ich erinnere mich an meinen Rauchentzug. Da hatte ich aus der Apotheke Kräuterzigaretten im Haus und immer, wenn das Verlangen nach Nikotin oder nur an etwas zigarettenähnlichem ziehen zu wollen, zu groß wurde, habe ich mir eine angezündet. Die schmeckten furchtbar und ein paar Züge daraus reichten, um den Druck abzubauen. Trotzdem habe ich nie wieder mit dem Rauchen angefangen und die halbvolle Schachtel irgendwann in den Müll geworfen. Das ist jetzt über acht Jahre her.)
Zurück zu gestern: Unterschwellig war er also da, der Wunsch nach Alkohol. Aber als ich so furchtbar müde auf meinem Stuhl hockte, fiel mir eine meiner eigenen Regeln wieder ein: Ich darf auch mal langsam laufen und gar stehen bleiben auf meinem neuen Weg. Um mich auszuruhen. Besser auf mich zu achten. (Ein hohes Schlafbedürfnis ist zudem als körperliches Entzugsmerkmal bekannt.)
So bin ich über volle Einkaufstüten gestiegen, habe die nasse Wäsche im Korb im Bad ignoriert und erst einmal länger als eine Stunde tief und fest geschlafen.
Danach war Zeit genug für die wichtigsten Dinge im Haushalt und es hat weder dem Einkauf noch der Wäsche geschadet. Kochen und Arbeit habe ich verschoben. Stattdessen bin ich am Abend ganz spontan, weil mir in dem Moment danach war, in meine Sportklamotten gestiegen und zum Fitti gefahren. Eine halbe Stunde auspowern auf dem Laufband, ordentlich schwitzen, und danach war jedes Veralngen nach Alkohol weggeblasen. Nun überlege ich, meinen zum 1. Dezember gekündigten Fitti-Vertrag doch weiterlaufen zu lassen, mir mal einen professionellen Body-Check mit allen wichtigen Werten zu gönnen und mir ein individuelles Trainngsprogramm zusammen stellen zu lassen. Denn: in zehneinhalb Monaten ist der nächste Termin für den besagten Halbmarathon. Vielleicht kann das ein paralleles Ziel für mich sein?
Für heute alles Liebe für euch
Eliza
Wem das wenig vorkommt oder normal: theoretisch schon, BMI liegt auch im grünen Bereich, aber ich bin halt „um die Mitte rum“ unzufrieden… und möchte ja mal prüfen, wie sich das zukünftig ohne Alkohol entwickelt