Liebe Welt,

in mir wütet das Chaos: die Tiger sind los und rasen als gedankliches Tabularasa durch meinen Kopf, lassen das Herz rasen, den Bauch schmerzen, die Muskeln lähmen. Ich bin unruhig, nervös und kann mich nur schwer auf das Schreiben hier konzentrieren. Möchte alles Mögliche aufschreiben, doch die Satzfestzen in mir lassen sich nicht greifen und verknüpfen.
Wie kommt das? Heute ist Samstag, ich habe über acht Stunden geschlafen und kann mich auf einen Tag mit meinem Liebsten freuen. Wir wohnen 90 Kilometer voneinander entfernt und sehen uns höchstens an deen Wochenenden und auch nicht jedes. Also eine schöne Aussicht, nachher zu ihm zu fahren und bis morgen Mittag zu bleiben.
Was treibt mich also stattdessen um?

Ich denke, es ist aktuell wieder ein ZUVIEL an Arbeit und Emotionen, die mich erschöpfen und auslaugen. Gestern habe ich den alten Freund wiedergetroffen, der mich vor einer Woche noch auf mein strahlendes Aussehen angesprochen hat. Das Gespräch während der halbdtündigen Autofahrt gestern verlief ganz anders: Er schaute mich prüfend von der Seite an und wollte plötzlich wissen, ob mir mein Job nicht zu viel wäre, das Pensum nicht zu hoch, das Tempo nicht zu schnell. Er schien besorgt und bot mir Hilfe an. Das hat mich irritiert, hatte ich doch geglaubt, gerade auf einem entspannterem Weg unterwegs zu sein und das nach außen auszustrahlen.

Unser Termin: ein Treffen über die Zukunft eines gemeinnützigen Vereins, dem ich seit über sechs Jahren mit viel Herzblut die Treue gehalten hatte. Und nun lag meine Kündigung zum Jahresende ausgesprochen auf dem Tisch. Ich konnte die Doppelbelastung von Vollzeitjob und Vollzeitehrenamt nicht mehr schaffen.

Es ist schmerzhaft, aber Teil meines Weges: Ballast abzuwerfen und mich so auch mal zu verabschieden von Aufgaben, die mich rasend viel Energie und Zeit kosten.
„Wenn du loslässt, hast du die Hände frei“, lautet ein Sprichwort und darum geht’s. Ich möchte mit mehr Schwung weiter laufen, mich wieder freier bewegen können. Dass ich mit meinem neuen Egoismus andere irritiere oder gar Neues ins Rollen bringe, darf mich nicht ängstigen oder abhalten. Kein schlechtes Gewissen für mich bitte, denn das setzt eine Schuld voraus, die ich nicht trage.
Dennoch prägen mich Termine und Entscheidungen wie diese. Ich war angespannt, ausgelaugt, traurig und auch enttäuscht über meine Schwäche, die anderen damit scheinbar im Stich zu lassen. Es ist Blödsinn, ich weiß, aber dieses Denken beherrscht mich.

Und dann möchte ich trinken. Egal wie viel, hauptsache Alkohol.

Ich habe Enttäuschungen und Niederlagen immer weggetrunken, um mich nicht mehr erinnern zu müssen. Wenn ich mich geschämt habe, nicht weiter wusste, mich hilflos und verletzt  fühlte; wenn ich wütend auf mich oder wen auch immer war und vor allem dann, wenn ich diese Wut nicht gezeigt, mich nicht gewehrt habe. Vielleicht war es genau das: Dass ich trinken wollte, um mich zu schützen und meine seelische Blöße durch pures Verdrängen zu bedecken. Andere essen sich einen Schutzpanzer aus Körperfett an, andere treiben exzessiv Sport, um zu vergessen…

Es bedarf eines einzigen Schrittes, um sich in eine Richtung zu bewegen. Auch nach vorn oder zurück. Die Frau meines Freundes schenkte mir am Abend nach unserer Rückkehr eine schwere längliche Tüte. „Für heute Abend zum Entspannen für dich“, sagte sie. „Mach es dir gemütlich und vergiss den Ärger.“

Es ist unschwer zu erraten, was sie mir Gutes tun wollte. Ich habe die Flaschentüte mit spitzen Fingern angenommen, mich nett bedankt und bin mit hängenden Kopf zum Auto geschlichen. Der Dämon in meiner Hand. In dieser emotionalen Situation. Was nun?
In welche Richtung wollte ich gehen? Ein winziges Stück weiter nach vorn ohne Alkohol oder mit nur einem Schritt, mit dem ersten Schluck, zurück an den Start? Ganz ehrlich. eine schwere Entscheidung.

In Liebe
Eliza