Liebe Welt,

ich bin noch da und ich bin noch auf dem „sober way“. (Es ist eine seltsame Angewohnheit in dieser – ich komme noch drauf zurück – Facebook-Selbsthilfegruppe, nie von „nüchtern“ zu schreiben, sondern von z. Bsp. sober Freunden. Stolpere ich beim Lesen immer mal wieder drüber und wundere mich: Wieso schreiben die Leute nicht das deutsche Wort aus? Ist doch ein Erfolg.)

Heute ist der 77. Tag; Woche elf neigt sich dem Ende. Ein skurriles Wortspiel fällt mir ein: zwei Schnapszahlen… ;o)
Dass ich nicht mehr täglich hier schreibe, ist immer noch ein gutes Zeichen und hat auch andere, profane Gründe: Ich bin einfach zu erschöpft, um mich abends noch an den Rechner zu hocken und morgens stehe ich mangels Energieschub kaum noch 4.30 Uhr auf. Zudem wiederhole ich mich hier ungern.

Zwei, nein drei, Dinge sind mir nun aber in den vergangenen Tagen aufgefallen.
Zuerst was wirklich Alltägliches, aber für mich sehr existenziell: Ich habe meinen Glasmüll zum Container gebracht. Ich glaube sogar, das erste Mal wieder seit ich keinen Alkohol mehr trinke. Es war toll: Nicht eine einzige Weinflasche dabei. Nur Kaffeepulver- und Nutellagläser und so Kram. Konnte ich quasi stundenlang am Glascontainer stehen und es kräftig klirren lassen ohne mich zu schämen.

Vorige Woche habe ich mich an einem Rezept ausprobieren wollen und als Zutat stand Weißwein dabei. Ich habe hin und her überlegt wie ich das kompensiere: mit Traubensaft und Balsamico zum Beispiel. Dann fiel mir ein, dass es ja auch alkohofreien Wein gibt. Das war ein Fehler: Ich stand sehr hilflos und sehr überfordert vor dem unglaublichen Massenangebot beim Edeka. Meterlange Regale mit Wein und das war nur der weiße. Für Rotwein, Sekt und Schnaps gibt es weitere Kilometer Regallängen. Man müsste mal ausrechnen, wie Platz der Alkohol prozentual im Vergleich zu den tatsächlichen Lebensmitteln und anderen Alltagsprodikten wie Kosmetik etc. einnimmt. Da kommt sicher eine erschreckende Zahl raus. Kaufen die Leute wirklich all diese Weinsorten?
Kurz und gut: Ich musste gefühlt stundenlang suchen, um alkoholfreie Sorten zu finden und bin mit nur zwei Angeboten fündig geworden. Auch noch schlecht gekennzeichnet. Es war auch ein komisches Gefühl, mal wieder eine Weinflasche im Korb zu haben. Beim Kochen habe ich den Wein geöffnet und auch mal dran gerochen: es fühlte sich alles gleich an. Aber!!!! Ich habe nicht probiert. Hatte nicht mal das Verlangen danach. Und mich auch gar nicht getraut.
Jetzt steht die angefangene Flasche im Kühlschrank und ich weiß, in der Not (nächste Woche? Familie?) kann ich alternativ mit alkoholfeiem Wein anstoßen. Ob ich das dann wirklich möchte? Keine Ahnung.
Daraus gelernt habe ich, dass mich der Anblick von Weinflaschen schon arg triggert und diese Konfrontation am Regal sehr viel Energie gekostet hat.

Was noch? Ach ja, die Gruppe. Eine geschlossene Gruppe für Menschen, die vom Alkohol loskommen und einen kleinen geschützten Raum zum Austausch möchten. Obwohl das auch irgendwe Quatsch ist: Wir sind da mit unseren Klarnamen drin und heute ist mir eine Frau aufgefallen, mit der ich mir einen „gemeinsamen Freund“ teile. Die virtuelle Welt ist zu klein… Aber ich lese da mit, gebe mal Buchtipps oder kommentiere Fragen, in denen es um die körperlichen Erfahrungen der ersten nüchternen Wochen geht. Per se ist das alles hilfreich. Allerdings auch sehr menschlich: Zwei der Frauen sind nach wochenlangem nicht trinken wieder rückfällig geworden. Zumindest einmalig. Die  Selbstgeißelung und den Selbsthass nachzulesen ist anstrengend; die Reaktionen der anderen teilweise befremdlich. Von „kann ja mal passieren“ bis hin zu „deine Strategien, nicht mehr zu trinken, sind falsch“. Das ist nicht meins.
Ich halte mich da zurück und denke nur „Ich muss auf mich acht geben und darf mich nie in Sicherheit wiegen, dass Alkohol mich nicht mehr packen kann“.
Es ist auch spannend zu beobachten wie sich die Gruppendynamik entwickelt: Gegründet wurde die Gruppe von einer Frau, die selbst lange abhängig war und seit Jahren (samt vieler Entzüge und Therapien) trocken ist und das medial aufbereitet. Sie möchte eine Plattform zum Austausch bieten und ist als Admin aktiv. Nun haben sich ratzfatz so etwas wie Gruppensprecherinnen herauskristallisiert und solche Frauen, die jede/n erstmal virtuell umarmen und sich stetig kümmern wollen. Insgesamt schwingt nun sehr viel „Wir haben uns hier alle lieb“ und „gut, dass wir uns haben“-Mentalität mit… Ich staune. Und ziehe mich in die Mitleseecke zurück.

Und nun fahre ich ins Büro und beginne meine letzte Arbeitswoche in diesem Jahr.

Alles Liebe für euch und ein paar besinnliche Momente
Eliza