Guten Morgen Welt,
der erste Arbeitstag im neuen Jahr. Weihnachten und Silvester liegen hinter mir und ich habe mir fest vorgenommen, das nächste Mal nicht mehr in dieser Form (Selbststress, Harmoniezwang usw.) für mich zuzulassen. Ich möchte am Liebsten wegfahren vom 23. Dezember bis nach Neujahr und zwar ans Meer. Ostsee, Nordsee, irgendwas. Oder in ein Schneegebiet. Und unbedingt mit Wellnessangebot. Vielleicht werde ich begleitet. Wenn nicht, dann halt für mich. Ich hoffe sehr, ich kann diesen Wunsch aufrechterhalten und das dann tatsächlich umsetzen. Das liegt ja nur an mir.
Aktuell lese ich viel in der Facebook-Gruppe und revidiere mein Vorurteil. Es gibt mir viele Denkanstöße, und zeigt mir eines: Ich habe großes Glück gehabt. Viele der (meistens) Frauen haben exzessiv getrunken bis hin zu körperlichen Ausfällen, waren dann zur Entgiftung und später in Therapien stationär in der Klinik oder zumindest ambulant in Behandlung. Ich hatte das nicht und auch nie so in Betracht gezogen. Vielleicht wäre eine Suchtberatungsstelle ein gute Option für mich gewesen, mich zu öffnen und Hilfe von außen zu bekommen.
In der Gruppe bin ich gefragt worden, warum ich es denn „allein schaffen“ wollte (abstinent zu werden) und warum ich nicht um Hilfe bitten könne? Ich denke noch immer darüber nach.
Ich glaube, an erster Stelle steht Scham: Ich schäme mich zuzugeben, dass ich süchtig bin. Das ist schwach und unperfekt und völlig konträr dem, was ich von mir nach außen hin zeigen möchte. Ich möchte stark wirken und tough und gelassen und dickfellig und somit augenscheinlich unangreifbar sein.
45 Jahre lang hatte ich Menschen an meiner Seite, die mir eingetrichtert haben, ich sei wertlos und könne nichts und das hat mich in eine fatale Spirale geführt. Ich habe persönliche Grenzüberschreitungen unglaublichen Ausmaßes zugelassen, meinen Stolz und meine Würde runtergeschluckt wie dicke Brocken, mir einen undurchdringlichen Schutzpanzer wachsen lassen, mein Inneres um so mehr verschlossen und mich parallel immer mehr und mehr angestrengt, meinem Gegenüber zu zeigen was ich alles doch super kann. Ich konnte mich von diesen Menschen physisch längst lösen, doch psychisch sind sie oft präsenter als mir lieb ist: Das Paradoxe ist, dass mir heute noch immer 99 Leute versichern könnten, wie toll ich bin, aber wenn einer kommt und die Nase rümpft und meimn Tun abwertet, bin ich am Boden zerstört und GLAUBE das.
Und nun der Alkohol: Ich kann mich einfach nicht vis á vis Menschen gegenüber outen. Ich brauche dafür zumindest die Anonymität des Internets (In der Gruppe und auch hier unter einem Decknamen.) oder das Telefon (Freundin) oder bestenfalls den umgedrehten Stuhl. Als ich mich der Therapeutin gegenüber geöffnet habe, saß ich mit dem Rücken zu ihr. Ich habe Angst vor Zurückweisung, vor scheelen Blicken, vor Unglauben und dummen Sprüchen „Wie kannst du nur?“. Zuzugeben, dass ich mein Leben nicht so im Griff hatte wie ich es gern gewollt habe (oder wie es der Norm entspricht), dass mich Alkohol mehr trösten oder pushen konnte oder entspannen ließ als irgendwer oder irgendetwas anderes auf der Welt. Dass ich es nicht geschafft habe, mich „zusammen zu reißen“ und nicht zu viel zu trinken oder nur so viel, wie es noch gesellschaftsfähig ist.
Ich schäme mich noch immer vor meiner Familie anstatt stolz zu verkünden, dass ich seit drei Monaten nüchtern unterwegs bin und das bleiben möchte.
Meine Aussage zu Weihnachten, ich würde keinen Alkohol mehr trinken, hat nur betretenes Schweigen ausgelöst, aber keine einzige Rückfrage über das Warum. Ich frage mich, ob sie alle innerlich gedacht haben „Endlich hört sie auf zu trinken, sie hatte ja echt ein Problem damit.“, aber aus Rücksicht nichts laut ausgesprochen haben oder aus Feigheit nichts gesagt haben, weil in unserer Familie am liebsten und schon immer ALLES totgeschwiegen wird. Oder ob sie es einfach nur oberflächlich zur Kenntnis nahmen und desinteressiert waren. Ich weiß es nicht. Nur mein jüngster Sohn spricht es laut aus: „Ich finde gut, dass du nichts mehr trinkst.“ Trotzdem verberge ich vor ihm die Bücher, die ich zu dem Thema lese.
Das sollte aufhören. Die Heimlichtuerei und die Scham. Aber wie?
In Liebe und einen hoffnungsfrohen Start in das Neue Jahr
Eliza