Guten Morgen Welt,

5 Uhr in der Früh und ich würde gern ins Bett zurück… Gestern war ich beim Sport und bin auf dem Band sehr lange und sehr weit gelaufen. Zuerst dachte ich, ich käme über die obligatorischen zehn Minuten Aufwärmen und 1,5 Kilometer nicht hinaus: Die Beine waren schwer, ich schnappte nach Luft und fand meinen Rhythmus nicht gleich. Dann regelte ich das Tempo ein stückweit nach unten und ab da fühlte sich alles richtig an. Tempo, Atem, Bewegung und ich wollte nicht mehr aufhören. So bin ich das erste Mal seit einem halben Jahr, seit dem HM glaube ich, auch mal wieder länger als eine Stunde am Stück und zwölf Kilometer gelaufen. Es war befreiend, auch von vielen Gedanken, die mich derzeit wieder beschäftigen.

Dazu fällt mir nun ein: In der FB-Gruppe berichten viele der Frauen (wenige Männer sind Mitglieder) von stationären und ambulanten Therapien, von Selbsterfahrungen und Selbstreflektionen. Abgesehen von den Symptomen einer besseren körperlichen Verfassung beschäftigen sich viele mit den psychischen Veränderungen durch die Abstinenz. Oder was das Trinken ausgelöst hat. Viele schleppen unglaubliche Traumatas mit sich herum; es ist erschreckend und beängstigend, was Menschen – Kindern –  wiederfahren kann. Mir kommt es oft vor, als hätten die anderen mir ganz viel Reife voraus: sie arbeiten so ernsthaft und gründlich an den Ursachen ihres Trinkens und beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Alkohol. Sie legen ein (scheinbar) unglaubliches Aufarbeitungstempo vor. Ich nicht: ich trinke erstmal „einfach“ nur nicht.

Oder anders: Ich habe natürlich auch viele Bücher zu dem Thema gelesen, weiß um das Nervengift und all die schädlichen Auswirkungen. Aber das allein hat mich ja auch nicht überzeugen können, ähnlich dem Nikotin. Ich habe aufgehört, weil ich mich selber nicht mehr leiden mochte, ja sogar von ständigem Selbsthass zerfressen war. Weil ich die Kontrolle verloren hatte und so nicht mehr weiter wollte.
Das große „Warum ist es soweit gekommen? Warum muss ich trinken?“ habe ich irgendwie noch nicht wirklich ergründet. Mich kostet es eher viel Kraft, erst einmal die körperlichen Entzugserscheinungen wie diese stetige Müdigkeit und die extreme Dünnhäutigkeit zu bewältigen. Das kann lange anhalten, heißt es. Auch hier dachte ich, ich bilde mir das ein, aber nein, andere, die sogar schon länger nüchtern sind, berichten Ähnliches. Selbst das Desinteresse an sozialen Kontakten und Kommunikation gehört dazu und ist „normal“. Das passiert mir ja on top. Ich habe deswegen zwar oft ein schlechtes Gewissen, aber dann denke ich: Ich bin an erster Stelle für mich verantwortlich und muss auf mich achten. Im Moment bin ich halt eher nach innen gerichtet als nach außen und schaffe es kaum, mich auf small talk mit anderen einzulassen.
Natürlich weiß ich, dass mir verdrängen auch nicht weiter hilft, wenn ich es schaffen möchte, nie wieder zu trinken.
Aber gestern auf dem Laufband habe ich für mich erfahren, dass ich mein eigenes Tempo finden muss und vor allem, dass ich ein eigenes Tempo haben darf. Dass ich mich keinem Erwartungsdruck – auch nicht mir selbst gegenüber – aussetzen darf, muss, sollte. Das ich gleichmäßig laufen muss, um Kräfte zu sparen und weiter zu kommen, aber auch nach eigenem Ermessen auch mal schneller rennen darf, wenn ich ein (Zeit-)Ziel erreichen will. Temporär ans Limit gehen, aber nicht dauerhaft.

Aber brauche ich eine ambulante Therapie in Bezug auf Alkohol? Im Moment ist das für mich nicht vorstellbar und relevant. Das Einzige, was ich wirklich machen möchte, ist eine so genannte Inventur: Es gibt einen ellenlangen Fragebogen zu Schritt 4 der AA, der das ganze Leben hinterfragt. Wenn ich den beantworte, wird Vieles wieder präsent werden und ergibt im Kontext vielleicht Sinn, denke ich.

Doch im Moment bleibe ich erst einmal (immer noch) dabei: einatmen, ausatmen… und Kräfte enteilen.

In Liebe
Eliza