Liebe Welt,
gestern habe ich das erste Mal einem mir fremden Menschen gegenüber laut ausgesprochen, dass ich ein Alkoholproblem habe und seit Monaten abstinent bin. Ich war in einer Suchtberatungsstelle der Caritas. Da kann man leider nicht einfach spontan hingehen, klingeln und mit einem Berater vor Ort reden, wenn es gerade rappelt im Kopf. Ich musste zwei Wochen auf den Termin warten. Aber nun bin ich „drin“ und wir haben uns für in vier Wochen neu verabredet. Zum Reden und zum Begleiten und zum Mut machen.
Vor allem Letzteres. Denn das fehlt mir sehr: der Mut, mich mir positiv zugewandten Menschen in meinem nahen Umfeld anzuvertrauen. Es weiß ja nicht mal mein Freund Bescheid. Nicht meine Familie. Ich mache das Ganze fast allein mit mir aus. Und das hält der Berater für gefährlich. Er nennt es „negative Abstinenz“ und meint, dieses Verhalten führe oft zum Rückfall. Ich solle – statt schambehaftet und schuldbewusst gegen den Dämon Alkohol anzugehen – stolz und aufrecht durch das Leben gehen und den Erfolg auch kommunizieren. Das würde mich und mein Netzwerk um mich herum stärken. Ein positves Feedback.
Ich aber habe Sorge, wie ich mit meiner Offenbarung zukünftig wahr genommen werden könnte. Ich weiß um die Klischees und Vorurteile und Lästereien über Alkoholiker. Wie häßlich und abwertend über Menschen gesprochen wird, die mit dieser Sucht kämpfen. Dabei sucht man/frau/ich sich das ja nicht freiwillig aus, sondern ich bin da sukzessive reingerutscht wie alle anderen Betroffenen auch.
Ich habe Angst, meinen Freund zu verlieren, wenn ich ihm alles erzähle. Der Berater meint, die Menschen würden eher anerkennen, was ich seit dem Aufhören geschafft habe und mich nicht danach bewerten, wie viel oder dass ich vorher getrunken habe. Da bin ich mir bei meinem Freund nicht sicher.
Wir haben über das Rauchen gesprochen und wie stolz ich darauf war und immer noch bin, damit von jetzt auf gleich aufgehört zu haben und dabei geblieben zu sein. Bei dem Thema klopfen mir die Leute immer (verbal) anerkennend auf die Schulter. „Was für eine Leistung!“ So sollte es auch jetzt sein. Eine andere Sucht – eine anerkannte Erkrankung sogar, und viel schwerer zu überwinden und viel heimtückischer im Kern, aber ich bin auf dem abstinenten Weg. Viel Grund zum Schulterklopfen. Eigentlich.
Dennoch habe ich Angst, verunsichert mich das, weiß ich nicht wie meine Gegenüber reagieren. Ich kann es nur ausprobieren. Das wird mir dringend angeraten. Für mein Ego, mein Selbstvertrauen und für meinen Selbstschutz. Positive Abstinenz.
Allerdings soll ich nichts über das Knie brechen und nun mit einer Reklametafel durch die Landen ziehen (mein Spruch) und mich öffentlich bloßstellen. Darum geht es nicht. Besser dosiert auswählen, wem ich vertrauen kann und mag, und auf den richtigen Moment warten. Oder ihn schaffen.
Letztens hatten wir das Thema in der FB-Gruppe und auf meine Sorge, mein Freund würde es nicht verstehen und mich vielleicht sogar verlassen deswegen, kam eine Frage: „Wollen wir denn mit Menschen zusammen sein, die uns (wegen der Sucht) nicht akzeptieren und die uns abwerten?“ Ich war damals sehr abgeschreckt von dieser Konsequenz, aber darum geht’s wohl: mich nicht zu verbiegen, ganz bei mir sein und nicht bei anderen, und so zur eigenen Mtte finden.
In Liebe
Eliza