Guten Morgen, liebe Welt,

am Wochenende war ich sehr mit dem Thema Rückfall beschäftigt. Zuerst postete eine Frau in der FB-Gruppe, dass sie – nach langem inneren Kampf gegen sich selbst, einen mächtigen Druck, gegen das Verlangen, überwältigt von zu vielen belastetenden Emotionen und schlussendlich davon in die Knie gezwungen – wieder getrunken habe. „Nur“ eine Piccolo-Flasche Sekt, aber das ist ja erstmal egal. Sie war seit sechs Monaten abstinent, ist Moderatorin in der Gruppe und immer präsent mit zahlreichen Einblicken in ihr Privat- und Seelenleben. Ob das so gut ist?
Jetzt sei sie an ihrem selbst auferlegten Pefektionismus und ihrer Angst, (mit einem Rückfall) zu versagen gescheitert, schreibt sie. Immer alles richtig machen zu wollen, die perfekte trockene Alkoholkerin, die beste Therapiepatientin uvm. sein sein wollen. Vorbild und Leuchtturm in de FB-Gruppe und die hat das gern angenommen. Ich war auch oft schier erschlagen ob so vieler vernüftiger Statements und Selbstreflektionen und fühlte mich manchmal recht fehlbar und oberflächlich, weil ich nicht so viele kluge Kommentare zum Thema beisteuern konnte. Auch nicht mehr wollte. Ich bin da sehr zurückhaltend geworden.
Dennoch: Ihren #Rückfallpost# wahrzunehmen, allein die Tatsache, dass niemand gefeit ist, weder mit Vernunft noch ausschließlich mit Willen, dass es egal ist, wie lange man abstinent ist und manchmal Jahre ins Land gehen und dann passiert was und schwupp – Alkohol steht am Start, hat mich sehr erschreckt. Damit hatte ich nicht gerechnet. Dass gerade ihr das passiert.
Jetzt branden das Verständnis und die Diskussionen hoch: gehört ein Rückfall als Prozess zum Trocken werden dazu? Vor allem: Wie geht es nun für sie weiter? Wird sie zurück in die Abstinenz finden oder rutscht sie zurück in die alte Spirale des Konsums mit dem Verlangen nach immer mehr und mehr und mehr Alkohol?

Ich hab hier schon drüber geschrieben: In meinem ersten Aufhörversuch (trotzdem war es ernst gemeint und sollte doch nicht beim Versuch bleiben) hatte ich schon die magischen ersten 100 Tage nüchtern geschafft und dann doch – Ich weiß heute nicht mehr, was genau dazu führte – wieder etwas gekauft und getrunken. Der Unterschied zur FB-Frau ist, dass sie das gleich am nächsten Tag in der Gruppe gepostet hat und sich somit eine weitere Art Schutzschild schafft, nicht zwingend wieder in die Trinkspirale zurückzurutschen. Vielleicht.
Mir ist das damals nicht gelungen. Ich hatte auch mit außer mit meiner Freundin und der Therapeutin mit niemandem darüber gesprochen. Weder über mein Alkoholproblem noch über das Aufhören und dann schon gar nicht über den Rückfall. Was keiner weiß, interessiert auch keinen. Niemand ist da und tröstet oder hinterfragt oder sorgt sich oder ist aufmerksam. Die Therapie war beendet, meine Freundin wohnt weit entfernt und ich habe mich sehr geschämt, meinen Rückfall zuzugeben. Also habe ich geschwiegen und geglaubt, einfach weiter nüchtern bleiben zu können als wäre nichts passiert. Leider ist mir das nicht gelungen: die Abstände zum nächsten Glas Wein wurden kleiner, die Trinkmengen wieder größer und gleichzeitig die Scham, versagt zu haben. Das mochte ich sowieso mit niemandem teilen.
Nun verstehe ich besser, was der Suchtberater mit negativer Abstinenz meint. Ich hoffe, die FB-Frau schafft es.

Gehört ein Rückfall zwingend zur Abstinenz dazu? Eine Diskussion ist aufgebrochen und ich lese in den Kommentaren von Rückfällen nach den ersten Tagen, Wochen, Monaten, aber auch nach Jahren, gar Jahrzehnten, des Nüchternseins. Es löst ambivalente Gefühle in mir aus. Die Angst, nie gefeit zu sein, und einen riesigen Respekt vor der Sucht.
Für mich war mein erster Rückfall wichtig, um zu begreifen, wie trügerisch man sich in Sicherheit wiegen und dass ich Alkohol nicht kontrollieren kann. Jedes erste Glas würde mich wahrscheinlich wieder in die Sucht zurück führen. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal so viel innere Kraft hätte, mich erneut vom Alkohol zu lösen.

Thema Versuchung: Ich war bei einer Freundin zum Reden und mit Einbruch der Dämmerung bekam sie Lust auf ein Glas Wein und bot mir auch eines an. Rubinroter Wein in einem schönen Glas. Sie weiß nichts von meinem Problem und ich habe auch abgelehnt. Aber ich sah ihr zu und auf den Wein in ihrer Hand und konnte ihn beinahe schmecken und erinnerte mich sofort an das wohlige Gefühl des ersten Schluckes. Das war so intensiv und ich bekam unglaublich Lust zu trinken. Dazu ihr gedankenverlorener Satz: „Ich sollte mit dem Rauchen aufhören oder mal weniger Wein trinken, aber ganz ehrlich: Ich will nicht verzichten und nur vernünftig und gesund leben, wenn morgen alles vorbein sein könnte. Dann nützt mir mein Verzicht auch nichts.“ Ihr Ex-Mann ist kürzlich überraschend verstorben.

Das ist die Generalentschuldigung für alles, meine ich: Morgen könnte mein Leben plötzlich vorbei sein und also genieße ich heute und jeden Tag als wäre es der Letzte. Klingt verlockend.

Ich gebe zu, ich habe darüber nachgedacht, aber dann… Nein. Ich möchte nicht mehr betrunken sein und verkatert und voller Selbsthass und Endzeitgedanken. Der Preis ist zu hoch. Weil es für mich kein Genuss wäre. Lieber lebe ich anders intensiv. Und unbedingt bewusster. Quasi bei Bewusstsein.

In Liebe für heute
Eliza

PS. Heute ist der siebente zuckerfreie Tag und es funktioniert immer besser. Es ist wie mit allem: Man muss nur über den Punkt kommen und dann geht’s.